Reinrassige Rassemeerschweinchen, oder Papier ist geduldig

Als meine Freundin Mitte letzten Jahres (2015) erzählte sie wolle jetzt Meerschweinchen züchten war ich erst einmal mäßig begeistert. Doch schnell ließ ich mich auch vom Cavia-Virus anstecken. Ich gebe zu, zu Anfang waren es weniger diese tollen Tiere sondern die Möglichkeit mein Farbgenetik-Wissen von der Theorie der Pferde in der Praxis der Meerschweinchen zu nutzen. Aus der Ferne war es mir ganz schnell zu wenig. Ich wollte selber auch Schweinchen haben und meine Tochter war begeistert. Also besuchte ich das Seminar „Züchter 1x1“ bei Andreas Reinert, den ich kurz zuvor in Erkelenz kennen lernte. Ich war begeistert, hatte ich da doch mein fehlendes Wissen aufgezeigt und anderes Wissen bestätigt bekommen.

Fazit: Die (meisten) Züchter nehmen ihr Hobby ernst und achten gut auf ihre Tiere und richten sich nach den gewünschten Standards.

Bald darauf zogen die ersten Tiere auch bei mir ein. Einen Teil hatte ich zuvor schon mit meiner Freundin für unsere Zuchtziele gemeinsam ausgewählt und gekauft. Natürlich alle Tiere mit Stammbaum. Die meisten von namhaften Züchtern. Wir wollen ja alles richtig machen und keinen Murks produzieren. Natürlich landete auch das eine oder andere Schweinchen *im Einkaufskorb* das wirklich keinen Sinn machte. Aber, Hand aufs Herz, welchem Schweinchen-Freund ist es nicht auch schon so gegangen. Herz über Kopf eine süße Fellnase gekauft und Zuhause die Erkenntnis: „Was willst Du jetzt damit?“. Mit etwas Glück war es ein Böckchen das kastriert wurde und so einen sinnvollen Job übernehmen konnte, oder einfach ein Liebhaberchen.

Die Verpaarungen sitzen und das Warten geht los. Oh, und manchmal lassen die Damen ganz schön warten! Dann endlich sind die ersten Babys da. Das Kindchen-Schema zieht voll und man bekommt sich kaum wieder ein. Dann schaltet sich das Hirn wieder zu und die Zwerge werden mit Züchteraugen betrachtet. Und dann kommt das eine oder andere Mal das große Staunen. Damit meine ich jetzt nicht solche Kleinigkeiten wie aus *seit Generationen reinerbige English Cresteds* kommt ein glatthaariges Junges. OK, ganz so reinerbig waren sie dann wohl doch nicht. Oder der Text auf einer Homepage: „Ich hatte mir extra für meine Lunky-Sau einen ebenfalls seit Generationen reinerbigen Lunky-Bock geliehen. Nun sind daraus aber nur Peruaner gefallen. Wie kann das sein?“ Für beides gibt es ganz simple Erklärungen: Man hatte bisher immer das Glück, das sich das dominante Gen vererbt hat.

Was ich meine sind Fälle wie zum Beispiel dieser:

Bock: (Glatthaar Creme California-Schoko d.e.) in 4. Generation Vaterlinie war mal ein Rex beteiligt und in 6. Generation Muttervaterlinie auch. Es sind aber nie wieder welche gefallen, also wird es im 3-Generationen-Stammbaum nicht erwähnt.

Sau: (Glatthaar Gold d.e. Buff-Träger (verkauft als Rot)) die Großmutter mütterlicherseits könnte US-Teddy-Träger gewesen sein. Nachforschung ergab, dass die beiden Generationen davor gerade mal Namen hatten. Über Rasse und Farbe ist nichts bekannt.

Zuchtziel: Glatthaar Buff California-Schoko d.e.

Jungtiere: 3 Glatthaar, eigentlich sogar alle 4, wenn man davon absieht das eines lockig ist. 3 zeigen das erwartete Gold und eins das gewünschte Buff. Dummerweise  mit deutlicher Weißscheckung. Zwei Goldfarbene, darunter das lockige, und das Buff-Weiße mit weißer Nase färben zu California um.

Dann kommt das große Rätzeln. Was ist das lockige denn nun? Sieht auf den ersten Blick nach Rex aus. Aber doch nicht so ganz. Fühlt sich fast wie Teddy an. Passt aber auch nicht. Also den Süßen mit zur Ausstellung genommen um die erfahrenen Züchter und Richter zu interviewen. Andreas Reinert: „Rex. Äh, ne. Aber US-Teddy auch nicht. Ist wohl beides.“ Patrick Staniec: „Sieht aus wie schlechter Rex und fühlt sich an wie schlechter US-Teddy.“ Alles klar. Der süße Ewok ist also ein waschechter Reddy. Was gibt es dann, wenn da auch noch Schweizer mitmischen würde? All-Reddy?

Oder dieser:

Bei einer anderen Züchterfreundin bekomme ich mit großer Begeisterung den Neuerwerb in die Hand gedrückt. Mit der Aussage: „Schau mal! Endlich habe ich einen Schweizer Bock. Das Fell ist zwar noch arg kurz, aber das kommt schon noch.“  Ein typvolles Tier mit sehr gutem Kopf, tollen Ohren und riesigen runden Augen. Aber kaum halte ich ihn in der Hand, überkommt mich das Gefühl mit dieser Wurzelbürste von nicht mal 4 cm langen Haaren Dreck von Pferdebeinen schrubben zu wollen. Das soll ein CH-Teddy sein? Weiter hinten im Stammbaum finden sich Glatthaar California-Schweinchen von denen ich durch eigene Erfahrung weiß, dass sie Rex und US-Teddy führen könnten. Sind sie doch aus derselben Zucht aus der auch die Ahnen meines Reddys stammen.

Bei einer weiteren  Züchterin warteten wir auf einen CH-Teddy-Wurf um daraus Jungtiere zu kaufen. Man, was haben wir mit gefiebert.

Dann endlich fiel er und das Erstaunen war groß.  Aus einer CH-Teddy Rückverpaarung vom Sohn auf die Mutter fielen 2,0,0 Rosetten. Wir sagten dann sofort, dass der Sohn unmöglich der Vater dieses Wurfes sein könne. Die Züchterin beharrte aber darauf, dass kein anderer Bock in Frage käme.

Langes wälzen der Stammbäume und hin und her rechnen ergab dann: Der Vater des verpaarten Sohnes war nicht der erwählte Schweizer, sondern ein Jungbock aus einem Notfellchen- Wurf, der zulange bei den Weibchen im Kindergarten saß. Also wurde die Mutter schon trächtig zum Bock gesetzt. Welche Enttäuschung für den strammen Kerl.

Derselbe Bock, also der Verpaarte Sohn, brachte mit einer auffällig kurzhaarigen (angeblichen) Ch-Teddy Sau 8 Tage später ein CH-Teddy, ein Glatthaar und 2 Curly. Das war der Beweis. Sein Stammbaum stimmt nicht.

Auch dieses Mädel wurde als CH-Teddy erworben. Noch ist nicht klar was sie wirklich ist. Der Phänotyp passt jedenfalls nicht zum Schweizer.

So sah sie einige Zeit nach der Ankunft aus.

Nachtrag: Mittlerweile *schweizert* sie.

Aber es geht nicht nur um die Rassegenetik. Auch bei den Farben ist es nicht viel besser. Schwarz-Rot-Loh mit Rot Weiß verpaart macht nämlich Schwarz-Rot-Loh Weiß, Schwarz Rot, Slateblue Gold und Slateblue-Creme-Loh Creme Weiß. Danke fürs Gespräch, denkt man sich dann. Warum steht davon nichts im Stammbaum?

Auch nicht schlecht war vor kurzem dieser Wurf. Sepia-Sable (gefallen aus Himalaya-Schwarz x Schoko crcr) mal Sepia-Sable (gefallen aus Lilac x Schoko-Sable (Halbbruder zu o.g. Schoko crcr)). Gefallen sind Lilac, Sepia, Schoko-Dapple und Schoko-Gold-Loh. OK, das Loh war als Schoko-Weiß-Loh in Stammbaum bekannt, aber auf den Tier (eigentlich) nicht sichtbar, wenn man von einem grau erscheinenden Bauchstreifen absieht. Der per Handyfoto-Analyse von Andreas Reinert nicht als Loh zu bestätigen war.

Schön sind auch Stammbäume in denen aus Schoko-Buff-Weiß mal Schoko-Creme-Agouti Weiß auf einmal Schwarz Rot Weiß fällt.

Oder ein Wurf der mir vor ein paar Tagen auf einer Liebhaber-Züchter-Homepage auffiel.  Creme California-Schoko p.e. mal Buff Weiß d.e. brachte Buff d.e., Creme California-Schoko d.e., Creme California-Schwarz und Beige p.e. Hier hat jemand ganz einfach keine Ahnung von Farben, geschweige denn Gentik.

Dann gibt es noch erfahrene Züchter die Genetik einfach nicht verstanden haben. Sie verpaaren Buff mit Buff und erwarten, dass daraus Creme fällt, weil doch bei den Großeltern Creme dabei war. Oder, auch ganz nett, Weiß d.e. mal Ice-Lilac Weiß. Und dann ist man völlig entsetzt dass da nur Schwarz Weiß raus kommt. Unverständlich ist für mich auch, dass man immer daran festhält, dass aus 3farbigen Tieren die keine Wildfarbe zeigen trotzdem Wildfarbe fallen kann.

Und das sind beileibe keine Einzelfälle. Da stellt sich jetzt die Frage: „Was ist schlimmer? Schlecht geführte Stammbäume oder gar keine Stammbäume?“ Ja, es gibt viele namhafte Züchter die überhaupt keine Stammbäume (mehr) ausstellen. Aussagen wie: „Das Tier ist aus 12 Generationen SPW gefallen.“  mag ich ja noch glauben. Bei „Das ist seit Jahren eine Gruppe reinerbige Creme d.e.“ fällt mich nichts mehr zu ein.

Ich möchte aus dem Stammbaum nicht nur erfahren welche Farb- und Rassegene in meinem Tier vorliegen (können). Ich will auch wissen wie eng es in Linien gezogen ist.

Meine Bitte an alle Züchter: Bitte führt eure Stammbäume sauber und vermerkt mögliche Trägereigenschaften, auch wenn sie bei euch nicht aufgetreten sind. Ach ja, an die Züchter der Wildfarben: übernehmt bitte die neuen Farbbezeichnungen. Es ist doch für alle eine Erleichterung sofort zu wissen um welche Farbe es sich handelt. Ich bin bestimmt nicht die einzige die erst nachsuchen muss was gemeint ist.

In diesem Sinne wünsche ich allen Züchter viel Erfolg und das euch keine Ü-Eier geboren werden die am Ende keiner haben will.  Denn ein Überbesatz lässt sich nur durch Verpaarungsstopp vermeiden. Und wir wollen doch züchten und keinen Stall voller Liebhabertiere.

Sonja Schmitt

 

Nach oben